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Steinerne Dokumente an unseren Grenzen
Von Rudolf Wild
Unsere Vorfahren haben ihre Rechtsgeschäfte nicht nur in Form von Urkunden hinterlassen, sondern sie haben in Form von Grenzsteinen dokumentiert, wie weit ihre Besitztümer reichten. Um diese Urkunden zu verstehen, muss man sich ein wenig zurückversetzen in die Zeit ihrer Entstehung. Denn im Lauf der Geschichte haben sich die Herrschaftsbereiche immer wieder verändert und die Grenzen hatten zu jeder Zeit eine andere Bedeutung. Wie schnell solch ein Bedeutungswandel vor sich gehen kann, soll an ein paar persönlichen Erinnerungen erläutert werden.
Dreißig Jahre ist es nun her, dass ich eine ganz ungewohnte Grenzsituation erlebte. Ich unternahm mit einem Freund eine Wanderung östlich von Kassel zum Dreiherrenstein – da liegt die Grenze schon im Namen! Für mich völlig unerwartet standen wir plötzlich vor einem schwarz-rot-gold gestrichenen Betonpfahl, auf dem ein Wappen mit Hammer und Zirkel angebracht war. Wir standen am "Eisernen Vorhang", ein paar hundert Meter unter uns konnte man den Todesstreifen erkennen, der sich wie ein Lindwurm durch die Landschaft fraß. Was mich jedoch am meisten faszinierte, war der kleine Sandstein, der neben dem Betonpfosten stand. – KH stand da zu lesen – das konnte nur "Kurhessen" bedeuten. Aber was stand wohl auf der anderen Seite? Obwohl ich schon schaurige Geschichten gehört hatte, was einem zustoßen kann, wenn man diese Grenze überschreitet, die Neugier war stärker. Ich wagte mich auf den schmalen Felsvorsprung, hinter dem ein Steilhang in die Tiefe führte und las KP. Das hatte bestimmt nichts mit der kommunistischen Partei zu tun – das musste "Königreich Preußen" bedeuten.
Vor zwanzig Jahren – auf einer meiner ersten Wanderungen durch die Pfalz – hatte ich auf dem Weg zu der zwischen Bobenthal und Dörrenbach gelegenen Guttenburg eine andere Grenzerfahrung. Aber gehörte mein Wanderweg überhaupt noch zu Deutschland? In der Wanderkarte war rund um den Mundatwald eine strich-punktierte Linie eingedruckt sowie der mysteriöse Eintrag "Französ. Verwaltung". Plötzlich fiel mir ein, dass ich vergessen hatte, den Personalausweis mitzunehmen. Mit schlechtem Gewissen machte ich mich auf den Heimweg. – Grenzsteine habe ich an diesem Tag keine zu Gesicht bekommen, doch steinerne Zeugen aus der Westwallzeit machten mich recht nachdenklich.
Vor zehn Jahren konnte man sich schon viel lockerer im deutschen Grenzgebiet aufhalten. Der eiserne Vorhang war gefallen und an der französischen Grenze war es kaum noch möglich, meiner Tochter beizubringen, was eigentlich eine Grenze bedeutet – so unproblematisch konnte man von einem Land ins andere reisen. Die Steine mit F und D waren geblieben und wir machten uns einen Spaß daraus, uns so auf einen Stein zu stellen, dass jede Körperhälfte in einem anderen Land stand – mit einem Bein in Deutschland, mit dem andern in Frankreich.
Heute haben die alten Grenzsteine unserer Heimat ihre politische Bedeutung verloren. Ein großer Teil hat noch seine Bedeutung als katastermäßiger Messpunkt, doch viele sind "nur" noch Kleindenkmäler. Geblieben ist die Erinnerung an den wechselvollen Lauf der Geschichte in der großen und kleinen Politik. Alte Urkunden erzählen uns von den Ursprüngen der Grenzen, verbunden mit Herrschaftsansprüchen der Klöster und weltlichen Herren, aber auch von Schenkungen zugunsten der Kirche. Seitenweise werden die Grenzen etwa in dieser Form beschrieben: "... so weisen wir an zum …-Stein, so ein Felß, hat ein Creutz ..." In den Urkunden des 16. Jahrhunderts wird noch keine Nummerierung der Grenzzeichen erwähnt, dafür lesen wir immer wieder von Mal- oder Logbäumen, in die Grenzmarkierungen eingeschlagen waren. Sie hatten als Grenzzeichen ebenso wie die Felsen den Vorteil, dass sie nicht verrückt werden konnten, doch in der Praxis waren gesetzte Steine leichter wiederzufinden als diese Markierungen. Es bedurfte jahrhundertelanger Erfahrung, bis man die optimale Größe der Grenzsteine und der Inschriften herausfand. Ein Nachweis dieses Erfahrunsprozesses ist jedoch schwierig, da bei den Grenzumgängen die als unbrauchbar befundenen Grenzzeichen in der Regel entfernt wurden. Politische Veränderungen haben ebenso zum Verlust alter Steine beigetragen wie Flurbereinigung, Waldbewirtschaftung und die natürliche Verwitterung, die oft recht deutlich ihre Spuren auf den ehrwürdigen Steinen hinterlassen hat.
Zum Denkmalcharakter der Grenzsteine gehört auch der originale Standort draußen in der Landschaft – ein Grenzstein im häuslichen Garten oder im Museum hat diesen Denkmalcharakter weitgehend verloren. Dabei ist jeder historische Grenzstein ein Unikat und aufgrund seiner Inschrift lässt sich in den meisten Fällen sein früherer Standort feststellen. (1)
Die Geschichte der Entwicklung dieser steinernen Zeugen soll an einigen Beispielen historischer Grenzen im östlichen Kreisgebiet aufgezeigt werden.
Die ältesten Grenzmarken unserer Gegend waren die Loch- oder Loogsteine und in den Fels geritzte Fußabdrücke, die signalisieren sollten: "Hierauf habe ich meinen Fuß gesetzt, dies gehört mir". Wer die Menschen waren, die diese alten Zeichen angebracht haben, liegt im Dunkel der Geschichte verborgen. Einige solcher Loogzeichen befinden sich im Hauensteiner Wald zwischen Weimersberg und Schweinsfels, wobei der sogenannte "Hasenteller" der bekannteste ist. (2) An das Brauchtum der Loogsteine erinnert uns auch der Name "Hohe Loog", mit dem mehrere Pfälzer Berge bezeichnet werden. – Weitgehend ungeklärt ist die Frage, ob die Menhire einst als Grenzmarken aufgestellt wurden oder die Grenzen erst später an diese Punkte gelegt wurden. Ein Beispiel hierfür finden wir als "sant Pirmansstein" zwischen Ruhbank und Lemberg. Dieser alte Menhir bildete im 15. Jahrhundert bei den Grenzbeschreibungen der Waldmark des Klosters Hornbach um Pirmasens den Ausgangspunkt. (3) 1196 wird der gleiche Stein als "Marstein" bezeichnet und als Grenzstein des Rodalber Hofes erwähnt.(4)
Die markanten Punkte alter Grenzbeschreibungen haben im Laufe der Jahrhunderte ihren Namen geändert und es ist oft sehr schwer nachzuvollziehen wo die genannten Punkte lagen, insbesondere, wenn es sich um Bäume handelte, die als Grenzpunkte genannt wurden.
Im späten Mittelalter waren es zunächst die Klöster, die ihre Grenzen mit Steinen markierten, denn Klosterbesitz war Gottesbesitz und wurde durch in die Felsen gehauene Kreuze gekennzeichnet, während die Weltlichkeit streng genommen keinen Grund und Boden besitzen durfte. Die Kreuze, die wir auf den Grenzsteinen finden, sind in ihrem Ursprung ein uraltes, leicht merkbares Zeichen – ein "Gemerk" als Symbol einer abgegrenzten "Gemarkung".
Zu den Kreuzen kamen Herrschaftszeichen wie Abt- oder Bischofsstab, Wappen oder erklärende Buchstaben hinzu. Das Mundat des Klosters Weißenburg wurde mit Steinen gekennzeichnet, in die ein riesiger Petrus-Schlüssel gemeißelt wurde. Abtstäbe finden wir 1591 in der Beschreibung des Annweiler Bürgerwaldes als Symbol des angrenzenden Eußerthaler Besitzes am Hermersberger Hof, wobei der Bereich von Annweiler bereits damals mit dem charakteristischen A gekennzeichnet war. Aufgrund der zentralen Anordnung des Abtstabes auf diesen Felsen ist anzunehmen, dass diese bereits zwischen 1163 und 1467 angebracht wurden. (5) An einigen alten Grenzsteinen wurden Buchstaben wie CP für Chur-Pfalz oder PE für Probstei Eußerthal erst später rechts und links des Abtstabes hinzugefügt. Auch die Nummerierung der Grenzsteine, die den Standort im Gelände besser nachweisen lässt, finden wir erst seit den Urkunden des 18. Jahrhunderts.
Bild 1:
Riesige, in die Felsen gehauene Abtstäbe markieren
am Hermersberger Hof die Grenze zum Kleinen Pirmannswald und dem Annweiler
Bürgerwald |
Zu den Gemerken auf alten Grenzzeichen gehören im Pirmasenser Raum neben verschiedenen Dorfzeichen und charakteristischen Buchstaben auch vereinfachte Wappen wie das Rautenwappen von Kurpfalz und Pfalz-Zweibrücken, das Kreuz des Fürstbistums Speyer, das Lothringer Doppelkreuz, die fünf Bollen der Sickinger und die Sparren der Hanauer. (6)
An der Ostgrenze des Landkreises – zum Annweiler Stadtwald zu – lassen
sich weitere typische Kennzeichen alter Grenzen ablesen. Da ist einmal
die Erinnerung an den Flickenteppich der alten deutschen Kleinstaaten,
die sich in der Zugehörigkeit des Amtes Merzalben zur Markgrafschaft
Baden widerspiegelt – dokumentiert im badischen Wappen und den Buchstaben
MB.
Auf einigen Grenzsteinen, deren Sockel durch die Erosion freigelegt wurde,
finden wir im Fuß sozusagen als Sicherheitskopie eine Wiederholung
von Wappen und Inschrift für den Fall, dass das Oberteil des Steins
beschädigt wird.
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Bild 2:
Bild 3 – nicht eingescannt
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Die Jahreszahlen auf den Grenzsteinen dokumentieren meist alte Grenzumgänge und nicht unbedingt das Jahr der Aufstellung.. Die Grenzumgänge wurden gefeiert und genau protokolliert. Um die Erinnerung an die Lage der Steine wachzuhalten, wurde diese den Jungen "eingebläut", indem sie über den Steinen schmerzhaft "gepritscht" wurden. Unter den Grenzsteinen wurden oft geheimnisvolle Zeichen gelegt – die sogenannten Zeugen – und nur ein eingeschworener Kreis – die Feldgeschworenen – durfte wissen, um welche Art von Zeichen es sich handelte. Oft waren es spezielle Tonscherben oder zerbrochene Hufeisen, die in einer bestimmten Stellung unter den Stein gelegt wurden.
Im Lauf der Jahrhunderte wurden immer wieder neue Markierungen in die Steine eingetragen. So hat man nach 1816 die alten Herrschaftsbezeichnungen teilweise ausgelöscht und den Wald, der jetzt dem König von Bayern unterstand, durch die Buchstaben KW kenntlich gemacht. Bei der damaligen Kennzeichnung des "Königlichen Waldes" wurden vielfach die alten Territorialzeichen entfernt. Sie blieben oft nur dort erhalten, wo man die neuen Steine neben die als unbrauchbar erachteten Grenzsteine und Logfelsen setzte.
Im 20. Jahrhundert waren es meist schlanke Granitquader, die als Grenzsteine verwendet wurden. In den letzten Jahren haben sich schließlich Marken aus Kunststein oder Plastik durchgesetzt, die mit viel weniger Aufwand zu setzen und bei Verlust auch schnell wieder zu erneuern sind.
(Unter dem gleichen Titel erschien ein ähnlicher
Text im Heimatjahrbuch Südliche Weinstraße 2002)
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