Kleindenkmale >  von A bis Z  > Bibliographie

Pfälzische Teuerungstafeln

Geschichten Aus der Geschichte:

Autor: Rudolf Wild

Einige unserer Hausinschriften weisen als Besonderheit auf, dass auf ihnen die gerade aktuellen Preise wichtiger Lebensmittel dokumentiert wurden. Diesen Aufwand betrieb man allerdings nur, wenn die Preise erheblich vom Üblichen abwischen. Deshalb werden diese Inschriften unter dem Begriff „Teuerungstafeln“ oder „Hungertafeln“ zusammengefasst.

Edenkoben Klosterstr 1574.jpg
Inschriftstein Klosterstraße 25
 in Edenkoben.

Rhodt Inschrift Amtshaus.jpg
Teuerungstafel am ehem. Württembergischen Amtshaus in Rhodt
Essingen Rathaus 1590.jpg
Inschrifttafel am Rathaus von Essingen
Doerrenbach Pfarrhaus 1598.jpg
Verwitterter Inschriftstein am Pfarrhaus von Dörrenbach. 

Ein Beispiel hierfür ist die Inschrift am Haus Klosterstraße 25 in Edenkoben, wo über dem Renaissancetor als Inschrift eingemeißelt ist *)

Alß man 74 zält Hanß / Haüenstein mich bauet hat. /
Da galt der Wein 84 gulden / Und das korn 5 mit willen / 1574

Eine Informationstafel am Haus erläutert, dass im 16. Jahrhundert der Preis für ein Fuder Wein (1080 Liter) zwischen 10 und 200 Gulden schwankte. Im Jahr 1574 gab es – bedingt durch einen ungünstigen Witterungsverlauf – nur geringe Erntemengen, so dass die Preise für Lebensmittel drastisch angestiegen sind.

Im benachbarten Rhodt findet sich eine ähnliche Inschrift am ehemaligen Württembergischen Amtshaus Weinstraße 71. Die dort angebrachten Jahreszahlen wurden leider bei einer Renovierung um 1995 verändert und müssten eigentlich 1576 lauten.¹*)

MAN ZALET 1676 / DA DER BAU ANGEFANG / EN WAR · DA KOSTIT / DER WEIN  · 40 GVLDE / UND NEIN · UND DAS M KORN WAR 45 BATZE

Auch unter dem Gesichtspunkt der Klimageschichte erscheint die Jahreszahl 1576 plausibler. In diesem Jahr wurden aufgrund eines Kälteeinbruchs Ende Mai die Reben in ganz Deutschland geschädigt. Insgesamt war 1576 ein kaltes Jahr. ¹)
In Rhodt waren m Jahre 1576 waren am Karfreitag (20.April), dem 1. Mai und im Oktober die Reben erfroren, daher gab es in diesem Jahr wenig, aber einen guten und verhältinismäßig teuren Wein.¹*)

Eine Inschrift aus dem Jahr 1679 wurde vom Bauherrn Georg König im Innenhof des Hauses Weinstraße 43 in Rhodt angebracht:

ALS MAN DAS / HAVS·ERBAUT / GOLT DAS MAL/TER KORN 3 DA/LER·DAS FV/HTER WEIN Z / DALER·ANO 1/679·GEORG· / KÖNIG·MACH/T ALEINA KÖNIGE

Eine weitere Inschrift, die am Haus Theresienstraße 55 angebracht war, ist leider verloren gegangen. Hier war die Jahreszahl 1590 fälschlicherweise als 1520 gelesen worden.

Als man das Haus erbauet, 1590, da galt das Korn  
X (10) Gulden, der Wein CX (110) Gulden.

Im gleichen Jahr entstand eine Inschrift am Rathaus von Essingen, das in diesem Jahr vom Essinger Ortsherrn, dem Mainzer Kurfürst, Erzbischof und Erzkanzler des heiligen Römischen Reiches, Wolfgang von Dalberg errichtet wurde.

ALS MAN ZALT TAVSENT FINF HVNDERT IAR • NEINZIG AUCH • DIE IAR • ZAL WAR • DISES RATHAVS • SEIN ANFANG NAM • S • FVDERWEIN HVNDERT GILDEN • KAM ALS WOLFF VON DALBVRG VNS REGIERT • S • CHVRFIRSTENTVM • ZV MEINTZ AVCH FIRT •

Aus dem Jahr 1590 berichteten Zeitgenossen: „Kalter Winter. Sehr heißer Sommer, Wenig aber äußerst guter Wein, wie seit 100 Jahren keiner gewachsen.“  ¹) – Zum Vergleich: 1583 kostete das Fuder Wein 6 bis 10 Gulden.¹**)

Im Süden des Landkreises Südliche Weinstraße befindet sich eine Teuerungstafel am 1575 erbauten Pfarrhaus von Dörrenbach (Hauptstraße 57). Im Sockel ist eine Spolie eines ehemaligen Schlusssteins aus dem Jahr 1598 eingemauert, dessen Inschrift leider nur noch unvollständig zu lesen ist. Dieses Jahr soll sehr kalt und schneereich gewesen sein.

ALS MAN ZALTT 1598 / DAS FVDER WEIN /
FIR C[XX] GVLDEN / [VERKAUFT] WAR

Eine zu den Teuerungstafeln passende Inschrift weist auch ein Balken im Glockenstuhl von Altdorf auf wo auf eine große Mäuseplage im Jahr 1817 hingewiesen wird: ²)

1617 IAR DA WAREN VIL MEIS VER/WAR HABEN GROSSEN SCHATEN 
GEDAN DAS MANS NIT AVSSPRECHEN KAN

In Landau sollen sich im früheren Gasthof Blum (dem heutigen Frank-Löbsches Haus) zwei Knittelverse befunden haben:³)
In der Belagerung der Stadt Landau, als man zählte Eintausend siebenhundert und zwei, gab man zwanzig Pfund Brod für ein Ei!
Als in der Belagerung von 1814 Landau umzingelt war vom Kosak, gabe der Schmaucher gern 150 Pfund Brod für ein Päckchen Tabak.
Davon, dass es in diesem Gasthof sogar Getränke „zum Nulltarif“ gegeben hat, zeigt eine schwer lesbare Inschrift aus dem Jahr 1698 am ehemaligen Ziehbrunnen im Innenhof:  – „Hir·Drinckt  Man·Ohne·Gelt“ –

Auch in anderen Regionen gibt es ähnliche Teuerungstafeln. So weist je eine Inschriftentafel an der Kirche von Oberderdingen (Landkreis Karlsruhe) und dem Rathaus von Karlsruhe-Durlach auf das Jahr 1571 hin, in dem es „unerhörte Teuerungsnot“ gab und es im Winter so kalt wurde, dass sogar der Bodensee zugefroren ist.4)

Die älteste derartige Inschrift ist der „Hungerbrotstein“ von 1317 in Oppenheim. Er ist in der Südfassade der Katharinenkirche rechts oberhalbdes Eingangs zum Hauptschiff eingemauert. Man sieht ein Brot in Originalgröße, darunter die Inschrift:
DO·DAZ·BROD· / VIR·HALLER· / GALT·DO·W/ART·D[ies]E / CAPP[ell]E· // ANGEHAB/EN, +ANNO·DNI· / M·CCC·XVII [1317 .5)

Dass derartige Inschriften auch im Elsass üblich waren, zeigt ein Zufallsfund in Ribeauvillé. Dort befindet sich über dem ehemaligen Torbogen der Bierstub Ville de Nancy, 7 Grand Rue, die Inschrift:
Renoviert durch / Heinrich Miller / und Anna Maria / Beckinsein, eheliche Haus/frau.ano 1694 /
Damalen gulte das / Fitl Weilzen 22 R. Das Fiertel Korn 18 R. Das Fuder Kellerwein 132 R. (RReichstaler?) 6)

Und während sich heutzutage die Klimaforscher Gedanken darüber machen, was ein verändertes Weltklima bewirken könnte, entdecken die Geschichtsforscher immer wieder Beispiele dafür, wie unvorhergesehene Wetter- und Klimaphänomene tief greifende wirtschaftliche und sogar politische Folgen mit sich gebracht haben.  

 


Literatur

*) Der Name Hanß Hauenstein ist in Edenkoben für diese Zeit nachgewiesen. In den meisten Beschreibungen findet man jedoch die Schreibweise Trutz Hauenstein oder Drutz Haürnstein. Bei dieser Schriftart ist der Buchstabe „H“ ist leicht mit einem „D“ zu verwechseln. Das gleiche gilt für die Buchstaben „r“, „u“ und „tz“. Sie heißen logischerweise „a“ und „n“ und „ß“.

¹) Rüdiger Glaser: Klimageschichte Mitteleuropas – 1000 Jahre Wetter, Klima, Katastrophen. Darmstadt 2001, S. 122 (1576) • S. 128 (1590) • S. 131 (1598)  

¹*) August Canditus: Rhodt unter Rietburg. Das „Schatzkästlein des Pfälzer Landes“, in: Pfälzerwald-Verein Wanderbuch 1938, S. 74; –  mit Zeichnung von August Croissant auf S. 91. – Download

¹**) Wilfried Schweikart: Aus der Geschichte des Weinbaus in Essingen. Heimatjahrbuch Südliche Weinstraße 2009, S.60

²) Abbildung bei Bernhard H. Bonkhoff: Pfälzisches Glockenbuch, 2008, S. 332

³) August Becker: Die Pfalz und die Pfälzer. München 1857 – in Ausgabe 1988 auf Seite 208.

4) Anneliese Seeliger-Zeiss: Die Inschriften des Großkreises Karlsruhe, 1980, – Ziff. 253 (Karlsruhe-Durlach) S. 135, Ziff. 262 (Oberderdingen) S. 148, Ziff. 288 (Odenheim)

5) vgl. Abbildung bei  www.kreuzstein.eu/html/body_oppenheim.html => Oppenheim C
Heinz Bormuth / Hugo Friedel: Hungersteine und steinerne Teuerungstafeln, in: Der Odenwald, 39. Jg. 1992, H. 1, S. 19-28
Heinz Bormuth: Hungersteine im und um den Odenwald. in: Unser Land 1993, S. 243–245

6) vgl. fr.wikipedia.org/wiki/Maison_au_7,_Grand-Rue_à_Ribeauvillé – Foto: commons.wikimedia.org/wiki/File:Ribeauville-0006.jpg

__________________
Erstfassung 2013 für:  www.heimat-pfalz.de/geschichte/1071-pfaelzische-teuerungstafeln.html (dort nicht mehr online); ergänzt im Juni 2021
 

zum Seitenbeginn

– aktualisiert am 27.08.2021