Autor:
Rudolf Wild
Einige unserer Hausinschriften weisen als
Besonderheit auf, dass auf ihnen die gerade aktuellen Preise
wichtiger Lebensmittel dokumentiert wurden. Diesen Aufwand
betrieb man allerdings nur, wenn die Preise erheblich vom
Üblichen abwischen. Deshalb werden diese Inschriften unter dem
Begriff „Teuerungstafeln“ oder „Hungertafeln“ zusammengefasst.
Ein Beispiel hierfür ist die Inschrift am
Haus Klosterstraße 25 in Edenkoben, wo über dem Renaissancetor
als Inschrift eingemeißelt ist *)
Alß man 74 zält Hanß / Haüenstein mich bauet hat. /
Da galt der Wein 84 gulden / Und das korn 5 mit willen / 1574
Eine Informationstafel am Haus erläutert,
dass im 16. Jahrhundert der Preis für ein Fuder Wein (1080 Liter)
zwischen 10 und 200 Gulden schwankte. Im Jahr 1574 gab es –
bedingt durch einen ungünstigen Witterungsverlauf – nur geringe
Erntemengen, so dass die Preise für Lebensmittel drastisch
angestiegen sind.
Im benachbarten Rhodt findet sich eine
ähnliche Inschrift am ehemaligen Württembergischen Amtshaus
Weinstraße 71. Die dort angebrachten Jahreszahlen wurden leider
bei einer Renovierung um 1995 verändert und müssten eigentlich
1576 lauten.¹*)
MAN
ZALET 1676 / DA DER BAU ANGEFANG / EN WAR · DA KOSTIT / DER WEIN
· 40 GVLDE / UND NEIN · UND DAS M KORN WAR 45 BATZE
Auch unter dem Gesichtspunkt der
Klimageschichte erscheint die Jahreszahl 1576 plausibler. In
diesem Jahr wurden aufgrund eines Kälteeinbruchs Ende Mai die
Reben in ganz Deutschland geschädigt. Insgesamt war 1576 ein
kaltes Jahr. ¹)
In Rhodt waren m Jahre 1576 waren am Karfreitag
(20.April), dem 1. Mai und im Oktober die Reben erfroren,
daher gab es in diesem Jahr wenig, aber einen guten und
verhältinismäßig teuren Wein.¹*)
Eine Inschrift aus dem Jahr 1679 wurde vom
Bauherrn Georg König im Innenhof des Hauses Weinstraße 43 in
Rhodt angebracht:
ALS
MAN DAS / HAVS·ERBAUT / GOLT DAS MAL/TER KORN 3 DA/LER·DAS FV/HTER
WEIN Z / DALER·ANO 1/679·GEORG· / KÖNIG·MACH/T ALEINA KÖNIGE
Eine weitere Inschrift, die am Haus
Theresienstraße 55 angebracht war, ist leider verloren gegangen.
Hier war die Jahreszahl 1590 fälschlicherweise als 1520 gelesen
worden.
Als
man das Haus erbauet, 1590, da galt das Korn
X (10) Gulden, der Wein CX (110) Gulden.
Im gleichen Jahr
entstand eine Inschrift am Rathaus von Essingen, das in diesem
Jahr vom Essinger Ortsherrn, dem Mainzer Kurfürst, Erzbischof und
Erzkanzler des heiligen Römischen Reiches, Wolfgang von Dalberg
errichtet wurde.
ALS MAN ZALT TAVSENT FINF HVNDERT IAR •
NEINZIG AUCH • DIE IAR • ZAL WAR • DISES RATHAVS • SEIN ANFANG
NAM • S • FVDERWEIN HVNDERT GILDEN • KAM ALS WOLFF VON DALBVRG
VNS REGIERT • S • CHVRFIRSTENTVM • ZV MEINTZ AVCH FIRT •
Aus dem Jahr 1590
berichteten Zeitgenossen: „Kalter Winter. Sehr heißer Sommer,
Wenig aber äußerst guter Wein, wie seit 100 Jahren keiner
gewachsen.“ ¹)
– Zum Vergleich: 1583 kostete das Fuder Wein 6
bis 10 Gulden.¹**)
Im Süden des
Landkreises Südliche Weinstraße befindet sich eine Teuerungstafel
am 1575 erbauten Pfarrhaus von Dörrenbach (Hauptstraße 57). Im
Sockel ist eine Spolie eines ehemaligen Schlusssteins aus dem
Jahr 1598 eingemauert, dessen Inschrift leider nur noch
unvollständig zu lesen ist. Dieses Jahr soll sehr kalt und
schneereich gewesen sein.
ALS MAN ZALTT 1598 / DAS FVDER WEIN /
FIR C[XX] GVLDEN / [VERKAUFT] WAR
Eine zu den
Teuerungstafeln passende Inschrift weist auch ein Balken im
Glockenstuhl von Altdorf auf wo auf eine große Mäuseplage im Jahr
1817 hingewiesen wird: ²)
1617 IAR DA WAREN VIL MEIS VER/WAR
HABEN GROSSEN SCHATEN
GEDAN DAS MANS NIT AVSSPRECHEN KAN
In Landau sollen sich im
früheren Gasthof Blum (dem heutigen Frank-Löbsches Haus)
zwei Knittelverse befunden haben:³)
„In der Belagerung der Stadt Landau, als man zählte
Eintausend siebenhundert und zwei, gab man zwanzig Pfund Brod für
ein Ei!“
„Als in der Belagerung von 1814 Landau umzingelt war vom
Kosak, gabe der Schmaucher gern 150 Pfund Brod für ein Päckchen
Tabak.“ Davon, dass es in diesem Gasthof sogar
Getränke „zum Nulltarif“ gegeben hat, zeigt eine schwer lesbare Inschrift
aus dem Jahr 1698 am ehemaligen Ziehbrunnen im Innenhof: – „Hir·Drinckt
Man·Ohne·Gelt“ –
Auch in anderen
Regionen gibt es ähnliche Teuerungstafeln. So weist je eine
Inschriftentafel an der Kirche von
Oberderdingen (Landkreis
Karlsruhe) und dem Rathaus von
Karlsruhe-Durlach auf das Jahr
1571 hin, in dem es „unerhörte Teuerungsnot“ gab und es im Winter
so kalt wurde, dass sogar der Bodensee zugefroren ist.4)
Die
älteste derartige Inschrift ist der „Hungerbrotstein“ von 1317
in Oppenheim. Er ist in der
Südfassade der Katharinenkirche rechts oberhalbdes Eingangs zum
Hauptschiff eingemauert. Man sieht ein Brot in Originalgröße,
darunter die Inschrift: DO·DAZ·BROD· / VIR·HALLER· / GALT·DO·W/ART·D[ies]E / CAPP[ell]E·
// ANGEHAB/EN, +ANNO·DNI· / M·CCC·XVII [1317 .5)
Dass derartige Inschriften
auch im Elsass üblich waren, zeigt ein Zufallsfund in Ribeauvillé. Dort befindet
sich über dem ehemaligen Torbogen der Bierstub Ville de Nancy,
7 Grand Rue, die Inschrift: Renoviert durch / Heinrich Miller / und Anna Maria / Beckinsein,
eheliche Haus/frau.ano 1694 /
Damalen gulte das / Fitl Weilzen 22
R. Das Fiertel Korn 18 R. Das
Fuder Kellerwein 132 R. (R = Reichstaler?)
6)
Und während sich
heutzutage die Klimaforscher Gedanken darüber machen, was ein
verändertes Weltklima bewirken könnte, entdecken die
Geschichtsforscher immer wieder Beispiele dafür, wie
unvorhergesehene Wetter- und Klimaphänomene tief greifende
wirtschaftliche und sogar politische Folgen mit sich gebracht
haben.
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