Raub am Kulturgut
– Gedanken zur Ottokravieh nach der neuen
Rächtschreibreform –
Die Rechtschreibreform kann mit Recht als
ein Raub am Kulturgut bezeichnet werden. So wichtig eine
Vereinfachung war, so wurden doch Veränderungen vorgenommen, die
nicht nachvollziehbar sind. Was so vielversprechend begonnen hat,
stellte sich dann doch nur als „viel versprechend“ heraus.
Unsere Aussprache kennt z.B. die Wörter
„aufwändig“ und „Stängel“ nicht – warum soll man es so
schreiben, wenn man doch „aufwendig“ und „Stengel“ spricht?
Für die „Gemse“ (angeblich
von Gams, deshalb jetzt „Gämse“) gilt das Gleiche – doch die
kommt in der Pfalz so selten vor, dass sie hier vernachlässigt
werden kann.
Das Wort „aufwendig“ hat nichts mit einer
Wand oder Wandlung zu tun, sondern kommt – ebenso wie die Wörter
„Aufwand“ und „Aufwendung“ von dem Pfennig oder Cent, den man
drei mal dreht und wendet, bevor man ihn ausgibt.
Und das Wort „Stengel“ ist sicher auch keine
Ableitung von „Stange“. Allenfalls das „Stängel“, auf dem der
Kanarienvogel sitzt, kann als verkleinerte Stange gelten. Der
Pflanzen-Stengel ist jedoch niemals verholzt und hat mit einer
Stange wenig gemeinsam. – Sinnverwandte Wörter wie englisch „stang“,
schwedisch „stång“, niederländisch „steng“
und griechisch „stóchos“ liegen im Rahmen der üblichen
Lautverschiebung.
Mit der gleichen (Un-) Logik schrieb man
früher „Gränze“, weil das Wort angeblich von einem „Kranz“ um die
Gemarkung kommt – abgeleitet vom polnisch-russischen Wort „granica“.
Und man schrieb „Aernte“, weil die
bekanntlich etwas mit „Ähren“ zu tun hat. Zum Glück wurde das bei
der Rechtschreibreform um 1900 geändert.
Entsprechendes gilt für „gibt“ (von
„geben“), das aufgrund früherer Rechtschreib-Reformen zwischen
1874 und 1901 „giebt“ geschrieben wurde – eine Form, die auch
heute noch gerne von Schulkindern verwendet wird.
Wieso ist eigentlich noch niemand auf die
Schreibweise „Rächtschreibung“ gekommen? Das Wort „Recht“ wird
doch sowieso eher wie „Rächt“ ausgesprochen und hat auch
irgendwie etwas mit „Rache“ zu tun!
Als Begründung für die Änderungen der
Rechtschreibung wurde seinerzeit angegeben, jetzt sei das alles
viel leichter zu lernen. – Das Lernen der richtigen Schreibweise
wird jedoch niemals ohne Auswendiglernen (oder auswendig lernen)
funktionieren. Und wenn man in der Grundschule nicht gelernt hat,
wann nach dem Komma „das“ steht, dann nützt auch keine
Rechtschreibreform. Falsch ist im Relativsatz das neue „dass“
genauso wie das alte „daß“. Selbst wissenschaftliche Arbeiten und
renommierte Zeitungen sind vor diesem Fehler nicht sicher!
Dabei gibt es eine ganz einfache Merkhilfe:
Wenn man in einer Mundart wie dem Pfälzischen stattdessen „däss“
sagen würde, wird „das“ mit einem S geschrieben.
Und wenn heutzutage die Verbrecher nicht
mehr „festgenommen“ sondern nur noch „fest genommen“ werden, ist
das eher ein Fall für die Reform des Strafrechts als der
Rechtschreibung.
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Diesem Text liegt der Leserbrief
„Veränderung nicht nachvollziehbar“ vom 9.9.2004 zugrunde
–
als Reaktion auf
„Zwei-Drittel-Mehrheit für alte Rechtschreibung“
in: Die Rheinpfalz, 27.8.2004
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